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Manifest für Architekten
Gestörte Projekte und Konflikte zwischen den Beteiligten sind heute Alltag im Bauwesen.
Mangelhafte und unzureichende Bauwerke sind die Folge.
Begeisternde Architektur wird zur Seltenheit.
Das muss aufhören und sich zum Besseren wenden. Deshalb gilt für die gesamte Architektenschaft das Folgende:
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1.) Architekten raus aus der Opferrolle!
Komplexe Gesetze, Verordnungen, unzählige Normen – Architekten können nicht sämtliche Fachbereiche des Bauens überblicken und sich idealerweise besser auskennen als Gesellen und Meister des Handwerks. Die Bauindustrie dominiert die Möglichkeiten der Gestaltung. Bürokratie, Juristerei und Interessenskonflikte der Projektbeteiligten erschweren kreative Prozesse bis zur Unmöglichkeit.
Darauf bereitet das Architekturstudium nicht vor – es gibt keine echte berufspraktische Ausbildung. Berufseinsteiger werden zu Autodidakten, die sich anhand der ihnen zugeteilten Aufgaben in ihre Rolle hineinarbeiten. Ohne Orientierung für das „Big Picture“ ihres Berufs können Architekten nicht gestalten, sondern nur reagieren. Man richtet sich danach, was gerade noch den Erwartungen der Beteiligten genügt – in allen Leistungsphasen. So sind Architekten auf Gedeih und Verderb den Anforderungen anderer ausgeliefert, ohne eigene Maßstäbe setzen zu können.
Die zentrale Frage lautet: Was macht diesen Beruf noch einzigartig und erforderlich? Insbesondere mit Blick auf den Vormarsch der künstlichen Intelligenz, die immer mehr Aufgaben der Informationsverarbeitung übernimmt.
Architekten müssen sich neu erfinden, die Opferrolle ablegen und einen längst überfälligen Paradigmenwechsel im Selbstverständnis ihres Berufs vollziehen.
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2.) Architekten in die Verantwortung!
Architekten müssen erkennen: Die Qualität eines Bauprojekts – und damit sukzessive die Qualität unserer gesamten Baukultur – steht und fällt mit dem Verantwortungsbewusstsein der Architekten.
Wer weniger als die Gesamtverantwortung für das gebaute Ergebnis übernimmt, wird dem Architektentitel nicht gerecht.
Das bedeutet nicht, dass man als verantwortlicher Architekt alle Planungs- oder gar Bauleistungen selbst erbringen muss – im Gegenteil. Es bedeutet, dass niemand außer den Architekten für Entwurfsqualität, gestalterische Wirkung und Baukultur einsteht. Und zwar in allen Leistungsphasen und bei jeder vermeintlich noch so geringen Handlung. Ein verantwortlicher Architekt sorgt dafür, dass im Zusammenwirken aller Beteiligten das bestmögliche Bauwerk entsteht - passend für den Bedarf des Bauherrn, und stets im Sinne des eigenen Ideals zu wertvoller Architektur.
Diese Verantwortung ist nicht teilbar und nicht delegierbar.
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3.) Architekten brauchen Klarheit!
Die Architektenausbildung muss grundlegend neu gedacht werden. Heute werden Studierende zu Konzeptdesignern mit etwas projektpraktischem Begleitwissen ausgebildet – das reicht nicht. Der Berufseinstieg ist geprägt von Hürden: fehlende Erfahrung, mangelndes Fachwissen, unzureichende Methodenkenntnis. All das muss mit hohem Zeit- und Arbeitseinsatz kompensiert werden – immer wieder neu und mit hohem Risiko für alle Beteiligten.
Was als „abwechslungsreiches Berufsbild“ erscheint, ist in Wahrheit ineffizientes Improvisieren. Orientierungslose Architekten versuchen, Kompetenzen zu erwerben, für die es längst spezialisierte Fachleute gibt. So konkurrieren Architekten untereinander und mit anderen Fachleuten, anstatt sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu fokussieren.
Was fehlt, ist Klarheit. Über den Sinn, Wert und die Verantwortung des Architekten-Berufs. Klarheit zu den Aufgaben, Prinzipien und Kompetenzen, die für die tägliche Arbeitspraxis wesentlich sind. Klarheit dazu, mit welchen Prozessen, Management-Mechanismen und welcher professionellen Einstellung Projekte funktionieren - und welche Standards es hierzu gibt. Und schließlich Klarheit dazu, wie die eigene Rolle im Zentrum aller Beteiligten ausgefüllt wird und wie kreative Ideen in diesem Gemenge in die Umsetzung gebracht werden können.
Architekten brauchen praxisorientierte Leitlinien, Beispiele und die richtigen Hilfen und Werkzeuge, um ihrer Verantwortung gerecht werden zu können. Solange die richtige Ausbildung hierfür fehlt, müssen Architekten sich gegenseitig unterstützen.
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4.) Architekten in die Kompetenz!
Architekten sind Spezialisten und Generalisten zugleich.
Sie müssen erkennen, welche Kompetenzen ein Projekt erfordert – und wann welche Zuarbeit in welcher Qualität notwendig ist.
Die Leistung der Architekten besteht in der Synthese: aus Technik, Regelwerk, Bauherrenbedürfnissen und Fachbeiträgen – im Kontext einer eigenen architektonischen Idee.
Dafür braucht es andere Kompetenzen, als sie bisher an den Architektur-Fakultäten vermittelt werden: Problemlösungs-Strategien, effektive Teamarbeit, Überzeugungs- und Verhandlungsgeschick, interdisziplinäres Kombinationsvermögen.
Die Königsdisziplin ist Kommunikation – professionell, wertschätzend, zielführend.
Fähigkeiten in CAD, raumbildender Gestaltung und Grafikdesign reichen allein nicht aus. Pläne, Berichte, Renderings, Modelle – all dies sind Werkzeuge der Kommunikation.
Architekten mit Zukunft werden Experten für Wirkung und Verständigung.
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5.) Architekten in das Zusammenwirken!
Der Beruf wird immer komplexer – zu komplex, um ihn allein zu bewältigen.
Deshalb braucht es unter dem Dach der Gesamtverantwortung eine neue Arbeitsteilung: wie im Ingenieurwesen oder in der Medizin, wo man unter den Heilberufen viele Spezialgebiete kennt.
Es gibt designorientierte und baupraxisorientierte Architekten, menschenorientierte und sachorientierte Persönlichkeiten. Diese Vielfalt ist kein Problem, sondern eine Stärke – wenn Architekten lernen, sie zu nutzen und ihr hinderliches Konkurrenzdenken ablegen.
Dazu gehört ein tiefes Verständnis für menschliche Motive, Werte, Verhaltensweisen und Fähigkeiten. Wer diese erkennt und gezielt im Sinne des Projekts einbindet, kann Teams zu Höchstleistungen führen.
Weil Bauprojekte und hohe Ansprüche zur Architektur dies erfordern, müssen Architekten sich neben dem Bauen und ihrem Architektur-Ideal zugleich mit den Menschen befassen.
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6.) Architekten in die Führungsrolle!
Architekten, die Verantwortung übernehmen und sich in Kommunikation, Koordination und Kollaboration professionalisieren, können die Führung im Projekt übernehmen.
Sie geben Bauherren und Beteiligten Sicherheit – durch Klarheit und Orientierung im komplexen Baugeschehen.
Als Träger der Verantwortung für Bauqualität und das Prozess-Erlebnis aller Beteiligten sind Architekten Bindeglied, Lotse sowie Dreh- und Angelpunkt. Sie kennen den Prozess, die Abhängigkeiten und die Beteiligten.
Auf dem langen Weg vom ersten Gedanken bis zur Fertigstellung des Projekts – Architekten sind die Reiseführer.
Architekten entwerfen das Projekt, vom Start bis zum Ziel. Sie planen den Weg dorthin und finden alle nötigen Begleiter, um jede Hürde zu überwinden. Sie sorgen dafür, dass alle Beteiligten ihre Stärken im Sinne des gemeinsamen Erfolgs einbringen. Architekten schaffen eine Vision und führen andere an, sie zu verwirklichen.
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7.) Architekten als Visionäre für unsere Zukunft!
Souveräne Architekten schulden sich selbst, ihren Projektpartnern und der Gesellschaft, dass jedes Bauwerk einen positiven Beitrag zur Baukultur leistet.
Dafür braucht es klare Vorstellungen zu dieser Baukultur: Welche Architektur soll die Welt bereichern? Wie lässt sich dieses Ideal umsetzen?
Koordination ohne klare Vision für ein erstrebenswertes Ziel reicht nicht aus. Architekten prägen mit jeder Entscheidung, die zu treffen sie helfen, die gebaute Umwelt – Räume, Gebäude, Städte. Sie gestalten heute die Denkmäler von morgen.
Dabei sind Architekten und ihre Werke lebenslang verbunden. Architekt zu sein bedeutet, den eigenen Beruf als Berufung zu verstehen.
Gemeinsam mit allen Beteiligten schaffen Architekten Lebensräume, die wirken – und so bauen sie die Zukunft nach ihrem eigenen Ideal.